17.10.1973
Wissen Sie, liebe Leserinnen und liebe Leser, wo Sie heute vor 40 Jahren waren? Erinnern Sie sich vielleicht, was die Hauptnachricht des Tages war? Oder liegt jener Mittwoch des Oktober 1973, wie bei den meisten unter uns, im Nebel der Zeit?
„Ich komme von Rom! Das ist alles. Ich bin da. Warum ich nicht wenigstens angerufen habe, weiß ich nicht; ich habe nicht dran gedacht, nur gehofft, daß sie da ist.
Sie ist da.
Das ist vor dreizehn Jahren gewesen.
Ingeborg ist tot.“
Wer dies schrieb, war ein früherer Lebensgefährte, eine große Liebe: Max Frisch. Er schrieb es rückerinnernd, in seinem großen Liebes-Bekenntnis, Montauk*, [den ich hier einst [post]modern lesend besprach]. Er hatte sie 11 Jahre zuvor wegen einer anderen, einer Jüngeren, wegen einer Studentin, verlassen. Sie, die [Nach]Denkerin, die große Dichterin, die Diva, die Dompteuse der Worte und Sätze, nach der einer der wichtigsten Literaturpreise der Welt benannt ist: Ingeborg Bachmann.
Heute vor 40 Jahren ist sie gestorben.
Im Gegensatz zu einem anderen liebenden Freund, Hans Werner Henze, der es akzeptierte, dass sie „nie nur in einem Leben zuhause ist. Sie ist hier und da und anderswo, anwesend und abwesend zugleich.“***
Der Schweizer Schriftsteller tat sich dagegen schwer mit ihr. Er fühlte sich zu ihr hingezogen und war zugleich irritiert von ihr. Er litt unter ihren abrupten Stimmungsumschwüngen, der wochenlangen Einsamkeit ohne sie, wenn sie unterwegs war, auf Lesereisen, bei der Gruppe 47 oder anderswo. Er litt unter den unklaren Verhältnissen. Sie blieb ihm zeitlebens ein Rätsel – mehr oder weniger, was er in Montauk auf den Punkt bringt:
„Ich bin ein Narr und weiß es. Ihre Freiheit gehört zu ihrem Glanz. Die Eifersucht ist der Preis von meiner Seite; ich bezahle ihn voll.“
Obwohl er es lange Zeit auch genoss, das glanzvolle, gemeinsame mondäne Leben in Rom, an der Seite einer Diva. Ich fand in ihrer Erzählungen „Simultan“** eine Stelle, die das trefflich beschreibt:
Ja, sagte er zerstreut, eine Erleuchtung. Nimmst du Obst?
Es gefiel ihm an ihr auch, wie sie reagierte, Wünsche äußerte, etwas ablehnte oder annahm, wie anmaßend , bescheiden, ausfallend oder einfach sie war, immer wechselnd, eine Person, mit der man überall hingehen konnte, die in einem kleinen Café so tat , als hätte sie ihr Leben lang nur schlechten Kaffee getrunken und hungrig an einem vertrockneten Sandwich gekaut, und in einem Hotel wie diesem ließ sie den Kellner erkennen, daß mit ihr nicht zu spaßen war, an der Bar wirkte sie wie eine dieser Frauen, die prinzipiell nichts taten, denen man es nie recht machen konnte, die sich mit Grazie langweilen oder amüsieren, die irritierende Launen haben, durch eine fehlende Zitronenschale, durch zu viel oder zu wenig Eis oder wegen eines nicht richtig gemixten Daiquiris nervös wurden. Einer der Gründe für den dumpfen Widerwillen gegen seine Frau in Wien war doch, daß sie ungeschickt, mit zu großen Handtaschen, durch die Stadt ging, gebückt, anstatt den Kopf zurückzuwerfen, daß ein Pelzmantel eine Verschwendung war, weil sie ihn mit einer Dulderinnenmiene trug, und daß sie nie, wie Nadja, mißbilligend um sich blickte, mit einer Zigarette in der Hand, und das hieß, wo bitte, wo ist denn der Aschenbecher, und um Himmels willen keinen VAT, ich habe gesagt DIMPLE, und wenn das nicht sofort verstanden wurde, zog ein Erstaunen über ihr Gesicht, als hinge von DIMPLE oder nicht DIMPLE der Ausgang sehr ungewöhnlicher Dinge ab.
Irgendwann hält Max Frisch die Achterbahnfahrt dieses Lebens mit ihr jedoch nicht mehr aus; eine Jüngere kreuzt seinen Weg. Ausgerechnet ein Freund bringt sie in die gemeinsame Wohnung in Rom, eine junge Studentin, Marianne. Mit ihr entflieht er im Sommer 1962 diesem Beziehungswirrwarr, zeigt ihr das strahlende Rom und dessen Umgebung im flotten Sportwagen. Ihr, einer jungen Studentin, die ihr Leben nicht [er]dichtet und ständig hinterfragt, sondern fröhlich den Augenblick der Gegenwart genießt.
Im sich anschließenden Herbst verlässt er die Bachmann. Das muss ihr, der Dichterin, das Herz gebrochen haben. Liefert sie sich deshalb im November 1962 selbst in eine Klinik in Zürich ein?
In Montauk bekennt Max Frisch:
„Sie befindet sich in der Bircher Benner Klinik, und da kommt er, um sie zu besuchen. Er muß warten; offenbar ist man gegen seinen Besuch. Er besteht aber darauf, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Er hält sich nicht für einen Unmenschen. Als er ins Zimmer tritt, schweigt sie entsetzt. Warum ist sie in dieser Klinik? Sie hat sich selbst eingeliefert. Er sieht Blumen und fragt nicht, wer diese Blumen geschickt habe……. In zwei oder drei Stunden muß er am Flughafen sein…. Er wird nach Amerika fliegen, ja, ohne sie. Das alles weiß sie aus Briefen. Sie kennt Marianne und hat mit ihr gesprochen wie eine große Frau. Er ist gekommen, um Adieu zu sagen im fünften Jahr. Er glaubt nicht ganz an ihre Krankheit. Hingegen glaubt er an die Geschichte mit den Blumen, die sie Tag für Tag bekommt, und das macht ihn nicht [mehr!] eifersüchtig; seine Hörigkeit ist aufgebraucht.“
Dabei hatte alles, im Jahr 1958, so vielversprechend begonnen… damals in Paris…
Im Badezimmer legte sie die beiden dicken Badetücher in die Wanne und bettete sich hinein, sie rauchte und rauchte, und tief in der Nacht ging sie zurück ins Zimmer. Einen halben Meter stand ihr Bett von dem seinen entfernt, sie tauchte die Füße in den Abgrund zwischen den beiden Betten, zögerte, dann drängte sie sich vorsichtig an ihn und, während er sie im Schlaf an sich zog, sagte sie, nur ein wenig, du mußt mich nur ein wenig halten, bitte, ich kann sonst nicht einschlafen.
[schreibt sie in ihrer Erzählung "Simultan"]
Doch die Bachmann hatte halt kein Glück mit ihren Männern… schon zuvor nicht mit der anderen großen Liebe. Viele sagen, es sei ihre eigentliche große Liebe gewesen, die zum Dichter Paul Celan, der ihr wohl stets wie im Traum begegnet ist. Mit dem es keine Zukunft gab, weil beide zu gegensätzlich waren. Gilt daher ihm der nachfolgende Absatz, der sich ebenfalls in „Simultan“ findet?
Seine Hand lag jetzt immer ruhig auf ihrem Knie, und sie fand es sehr vertraut, so zu fahren, wie in vielen Autos mit einem Mann, wie mit allen Männern in einem Auto, trotzdem mußte sie sich zusammennehmen, sie mußte, mußte jetzt… hier… auf einer Steilküste, an einem äußersten Rand. Ja, just behave yourself! Wenn sie nun aber nicht mehr wollte und ihm ins Steuer fiel, wenn sie es nur ein wenig verriß, dann konnte sie sich überschlagen mit ihm, eine Zusammengehörigkeit herstellen ein einziges Mal und abstürzen mit ihm ohne Bedauern.
Und was ist mit der Freundschaft zum eingangs erwähnten Dritten, dem Komponisten Henze? Mit ihm verband sie zeitlebens der künstlerische Gleichklang. Er ist der einzige, dem sie in einem Brief im Januar 1963 anvertraut, dass Frisch sie wegen einer jungen Studentin verließ, das sei die größte Niederlage ihres Lebens. Sie sei nicht eifersüchtig, sie habe weit eher versucht, etwas wie Normalität in ihr Leben zu bringen, aber wahrscheinlich liege das „außerhalb ihres Möglichkeitsspielraums“. In diesem Brief fleht sie Henze an, ein paar Tage mit ihr zu verbringen, „sie brauche es wie sonst nichts“. Henze, dessen Allheilmittel für die Dichterin wohl immer die Empfehlung zu „kontinuierlicher Arbeit“ – also zum Schreiben - war, denn „dann könne man sich selbst ignorieren“***, sollte sich dieses Mal irren.
Doch dann war da noch eine andere Herzensverbindung von ihr - eine Art Heimatliebe - die zu Wien. Diese Stadt war neben dem realen Wohnort Rom ihr lyrisches Zuhause; denn wenn sie in Rom Gedichte [oder Erzählungen] schrieb, dann war der Schauplatz der Handlung meist doch die „Stadt ohne Gewähr“, wie sie die Stadt an der Donau in der Erzählung „Das dreißigste Jahr“** nennt:
Laßt mich nicht von irgendeiner Stadt reden, sondern von der einzigen, in der meine Ängste und Hoffnungen aus so vielen Jahren ins Netz gingen. Wie eine große schlampige Fischerin sehe ich sie noch immer an dem großen, gleichmütigen Strom sitzen und ihre silbrige und verweste Beute einziehen. Silbrig die Angst, verwest die Hoffnung.
Beim Schwarzwasser der Donau und dem Kastanienhimmel über den schimmelgrünen Kuppeln:
Laßt mich etwas von ihrem Geist hervorkehren aus dem Staub und ihren Ungeist dem Staub überantworten! Dann mag der Wind kommen und ein Herz hinwegfegen, das hier stolz und beleidigt war!
Aus heutiger Sicht, vierzig Jahre später, kommt es einem schon so vor, als hätte die Bachmann sich auch selbst inszeniert. Welches Thema ist dafür besser denkbar als das ewige Thema der Liebe!? Eine Liebe, die im realen Leben nicht lebbar ist. Die Unmöglichkeit, die Kunst der Liebe, in der realen Welt zu leben. Mir scheint es das Hauptthema der Dichterin gewesen zu sein!
Wahrscheinlich war sie ihr Leben lang auf der Suche nach dem idealen Geliebten, in dem sie sich hätte widerspiegeln können, wie sie es um 1965 herum in der Erzählung „Der Tod wird kommen“** umschreibt:
Ich und wir.
Meine ich manchmal nicht nur mehr Wir?
Wir Frauen und Wir Männer, Wir Seelen, Wir Verdammten, Wir Schiffer, Wir Blinde, Wir blinde Schiffer, Wir Wissende. Wir mit unseren Tränen, Eitelkeiten, Wünschen, Hoffnungen und Verzweiflungen.
Wir unteilbar, geteilt durch jeden einzelnen, doch Wir.
Meine ich nicht Wir, gegen den Tod gehend, Wir, von Toten begleitet, Wir Hinsinkende, Wir Vergebliche?
In soviel Momente sind Wir.
In allen Gedanken, die ich nicht mehr allein zu denken [ver]mag.
In Tränen, die nicht allein um mich geweint werden mögen.
Ingeborg Bachmann, die Zauberin der Sprache, deren Leben mir wie ein Liebesroman vorkommt, starb mit 47 Jahren viel zu früh, so dass sich ihr Traum einer erfüllten Liebe nicht mehr verwirklichte:
„Mich verlangt, mehr als Sie begreifen können, nach diesem Traum, ich würde Ihnen viel, vielleicht sogar alle meine Ersparnisse dafür geben…. „
„Ich kaufe nur einen Traum“, sagte ich hastig, „ich will nur den Traum von Anna….“ – ich verbesserte mich rasch: „… nur den von dem Mädchen auf dem großen weißen Schiff.“
Nachdenklich setzte er [der Traum-Verkäufer] unleserliche Zahlen auf ein neben dem Block liegendes Blatt Papier, als mache es ihm Mühe, den Preis zu errechnen.
„Einen Monat“, murmelte er schließlich und durchkreuzte seine Berechnungen mit einem festen Strich.
Ich lachte ihm ins Gesicht.
Sich den Kragen zurechtrückend, erläuterte er: „Ich mache keinen Scherz. Sie haben vielleicht erwartet, mit Geld bezahlen zu können, aber Sie werden wissen, daß sie nirgends Träume für Geld bekommen. Sie müssen mit Zeit bezahlen. Träume kosten Zeit, manche sehr viel Zeit.“****
Eine Zeit,
die das Leben ihr nicht beschied!
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„Ich komme von Rom! Das ist alles. Ich bin da. Warum ich nicht wenigstens angerufen habe, weiß ich nicht; ich habe nicht dran gedacht, nur gehofft, daß sie da ist.
Sie ist da.
Das ist vor dreizehn Jahren gewesen.
Ingeborg ist tot.“
Wer dies schrieb, war ein früherer Lebensgefährte, eine große Liebe: Max Frisch. Er schrieb es rückerinnernd, in seinem großen Liebes-Bekenntnis, Montauk*, [den ich hier einst [post]modern lesend besprach]. Er hatte sie 11 Jahre zuvor wegen einer anderen, einer Jüngeren, wegen einer Studentin, verlassen. Sie, die [Nach]Denkerin, die große Dichterin, die Diva, die Dompteuse der Worte und Sätze, nach der einer der wichtigsten Literaturpreise der Welt benannt ist: Ingeborg Bachmann.
Heute vor 40 Jahren ist sie gestorben.
Im Gegensatz zu einem anderen liebenden Freund, Hans Werner Henze, der es akzeptierte, dass sie „nie nur in einem Leben zuhause ist. Sie ist hier und da und anderswo, anwesend und abwesend zugleich.“***
Der Schweizer Schriftsteller tat sich dagegen schwer mit ihr. Er fühlte sich zu ihr hingezogen und war zugleich irritiert von ihr. Er litt unter ihren abrupten Stimmungsumschwüngen, der wochenlangen Einsamkeit ohne sie, wenn sie unterwegs war, auf Lesereisen, bei der Gruppe 47 oder anderswo. Er litt unter den unklaren Verhältnissen. Sie blieb ihm zeitlebens ein Rätsel – mehr oder weniger, was er in Montauk auf den Punkt bringt:
„Ich bin ein Narr und weiß es. Ihre Freiheit gehört zu ihrem Glanz. Die Eifersucht ist der Preis von meiner Seite; ich bezahle ihn voll.“
Obwohl er es lange Zeit auch genoss, das glanzvolle, gemeinsame mondäne Leben in Rom, an der Seite einer Diva. Ich fand in ihrer Erzählungen „Simultan“** eine Stelle, die das trefflich beschreibt:
Ja, sagte er zerstreut, eine Erleuchtung. Nimmst du Obst?
Es gefiel ihm an ihr auch, wie sie reagierte, Wünsche äußerte, etwas ablehnte oder annahm, wie anmaßend , bescheiden, ausfallend oder einfach sie war, immer wechselnd, eine Person, mit der man überall hingehen konnte, die in einem kleinen Café so tat , als hätte sie ihr Leben lang nur schlechten Kaffee getrunken und hungrig an einem vertrockneten Sandwich gekaut, und in einem Hotel wie diesem ließ sie den Kellner erkennen, daß mit ihr nicht zu spaßen war, an der Bar wirkte sie wie eine dieser Frauen, die prinzipiell nichts taten, denen man es nie recht machen konnte, die sich mit Grazie langweilen oder amüsieren, die irritierende Launen haben, durch eine fehlende Zitronenschale, durch zu viel oder zu wenig Eis oder wegen eines nicht richtig gemixten Daiquiris nervös wurden. Einer der Gründe für den dumpfen Widerwillen gegen seine Frau in Wien war doch, daß sie ungeschickt, mit zu großen Handtaschen, durch die Stadt ging, gebückt, anstatt den Kopf zurückzuwerfen, daß ein Pelzmantel eine Verschwendung war, weil sie ihn mit einer Dulderinnenmiene trug, und daß sie nie, wie Nadja, mißbilligend um sich blickte, mit einer Zigarette in der Hand, und das hieß, wo bitte, wo ist denn der Aschenbecher, und um Himmels willen keinen VAT, ich habe gesagt DIMPLE, und wenn das nicht sofort verstanden wurde, zog ein Erstaunen über ihr Gesicht, als hinge von DIMPLE oder nicht DIMPLE der Ausgang sehr ungewöhnlicher Dinge ab.
Irgendwann hält Max Frisch die Achterbahnfahrt dieses Lebens mit ihr jedoch nicht mehr aus; eine Jüngere kreuzt seinen Weg. Ausgerechnet ein Freund bringt sie in die gemeinsame Wohnung in Rom, eine junge Studentin, Marianne. Mit ihr entflieht er im Sommer 1962 diesem Beziehungswirrwarr, zeigt ihr das strahlende Rom und dessen Umgebung im flotten Sportwagen. Ihr, einer jungen Studentin, die ihr Leben nicht [er]dichtet und ständig hinterfragt, sondern fröhlich den Augenblick der Gegenwart genießt.
Im sich anschließenden Herbst verlässt er die Bachmann. Das muss ihr, der Dichterin, das Herz gebrochen haben. Liefert sie sich deshalb im November 1962 selbst in eine Klinik in Zürich ein?
In Montauk bekennt Max Frisch:
„Sie befindet sich in der Bircher Benner Klinik, und da kommt er, um sie zu besuchen. Er muß warten; offenbar ist man gegen seinen Besuch. Er besteht aber darauf, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Er hält sich nicht für einen Unmenschen. Als er ins Zimmer tritt, schweigt sie entsetzt. Warum ist sie in dieser Klinik? Sie hat sich selbst eingeliefert. Er sieht Blumen und fragt nicht, wer diese Blumen geschickt habe……. In zwei oder drei Stunden muß er am Flughafen sein…. Er wird nach Amerika fliegen, ja, ohne sie. Das alles weiß sie aus Briefen. Sie kennt Marianne und hat mit ihr gesprochen wie eine große Frau. Er ist gekommen, um Adieu zu sagen im fünften Jahr. Er glaubt nicht ganz an ihre Krankheit. Hingegen glaubt er an die Geschichte mit den Blumen, die sie Tag für Tag bekommt, und das macht ihn nicht [mehr!] eifersüchtig; seine Hörigkeit ist aufgebraucht.“
Dabei hatte alles, im Jahr 1958, so vielversprechend begonnen… damals in Paris…
Im Badezimmer legte sie die beiden dicken Badetücher in die Wanne und bettete sich hinein, sie rauchte und rauchte, und tief in der Nacht ging sie zurück ins Zimmer. Einen halben Meter stand ihr Bett von dem seinen entfernt, sie tauchte die Füße in den Abgrund zwischen den beiden Betten, zögerte, dann drängte sie sich vorsichtig an ihn und, während er sie im Schlaf an sich zog, sagte sie, nur ein wenig, du mußt mich nur ein wenig halten, bitte, ich kann sonst nicht einschlafen.
[schreibt sie in ihrer Erzählung "Simultan"]
Doch die Bachmann hatte halt kein Glück mit ihren Männern… schon zuvor nicht mit der anderen großen Liebe. Viele sagen, es sei ihre eigentliche große Liebe gewesen, die zum Dichter Paul Celan, der ihr wohl stets wie im Traum begegnet ist. Mit dem es keine Zukunft gab, weil beide zu gegensätzlich waren. Gilt daher ihm der nachfolgende Absatz, der sich ebenfalls in „Simultan“ findet?
Seine Hand lag jetzt immer ruhig auf ihrem Knie, und sie fand es sehr vertraut, so zu fahren, wie in vielen Autos mit einem Mann, wie mit allen Männern in einem Auto, trotzdem mußte sie sich zusammennehmen, sie mußte, mußte jetzt… hier… auf einer Steilküste, an einem äußersten Rand. Ja, just behave yourself! Wenn sie nun aber nicht mehr wollte und ihm ins Steuer fiel, wenn sie es nur ein wenig verriß, dann konnte sie sich überschlagen mit ihm, eine Zusammengehörigkeit herstellen ein einziges Mal und abstürzen mit ihm ohne Bedauern.
Und was ist mit der Freundschaft zum eingangs erwähnten Dritten, dem Komponisten Henze? Mit ihm verband sie zeitlebens der künstlerische Gleichklang. Er ist der einzige, dem sie in einem Brief im Januar 1963 anvertraut, dass Frisch sie wegen einer jungen Studentin verließ, das sei die größte Niederlage ihres Lebens. Sie sei nicht eifersüchtig, sie habe weit eher versucht, etwas wie Normalität in ihr Leben zu bringen, aber wahrscheinlich liege das „außerhalb ihres Möglichkeitsspielraums“. In diesem Brief fleht sie Henze an, ein paar Tage mit ihr zu verbringen, „sie brauche es wie sonst nichts“. Henze, dessen Allheilmittel für die Dichterin wohl immer die Empfehlung zu „kontinuierlicher Arbeit“ – also zum Schreiben - war, denn „dann könne man sich selbst ignorieren“***, sollte sich dieses Mal irren.
Doch dann war da noch eine andere Herzensverbindung von ihr - eine Art Heimatliebe - die zu Wien. Diese Stadt war neben dem realen Wohnort Rom ihr lyrisches Zuhause; denn wenn sie in Rom Gedichte [oder Erzählungen] schrieb, dann war der Schauplatz der Handlung meist doch die „Stadt ohne Gewähr“, wie sie die Stadt an der Donau in der Erzählung „Das dreißigste Jahr“** nennt:
Laßt mich nicht von irgendeiner Stadt reden, sondern von der einzigen, in der meine Ängste und Hoffnungen aus so vielen Jahren ins Netz gingen. Wie eine große schlampige Fischerin sehe ich sie noch immer an dem großen, gleichmütigen Strom sitzen und ihre silbrige und verweste Beute einziehen. Silbrig die Angst, verwest die Hoffnung.
Beim Schwarzwasser der Donau und dem Kastanienhimmel über den schimmelgrünen Kuppeln:
Laßt mich etwas von ihrem Geist hervorkehren aus dem Staub und ihren Ungeist dem Staub überantworten! Dann mag der Wind kommen und ein Herz hinwegfegen, das hier stolz und beleidigt war!
Aus heutiger Sicht, vierzig Jahre später, kommt es einem schon so vor, als hätte die Bachmann sich auch selbst inszeniert. Welches Thema ist dafür besser denkbar als das ewige Thema der Liebe!? Eine Liebe, die im realen Leben nicht lebbar ist. Die Unmöglichkeit, die Kunst der Liebe, in der realen Welt zu leben. Mir scheint es das Hauptthema der Dichterin gewesen zu sein!
Wahrscheinlich war sie ihr Leben lang auf der Suche nach dem idealen Geliebten, in dem sie sich hätte widerspiegeln können, wie sie es um 1965 herum in der Erzählung „Der Tod wird kommen“** umschreibt:
Ich und wir.
Meine ich manchmal nicht nur mehr Wir?
Wir Frauen und Wir Männer, Wir Seelen, Wir Verdammten, Wir Schiffer, Wir Blinde, Wir blinde Schiffer, Wir Wissende. Wir mit unseren Tränen, Eitelkeiten, Wünschen, Hoffnungen und Verzweiflungen.
Wir unteilbar, geteilt durch jeden einzelnen, doch Wir.
Meine ich nicht Wir, gegen den Tod gehend, Wir, von Toten begleitet, Wir Hinsinkende, Wir Vergebliche?
In soviel Momente sind Wir.
In allen Gedanken, die ich nicht mehr allein zu denken [ver]mag.
In Tränen, die nicht allein um mich geweint werden mögen.
Ingeborg Bachmann, die Zauberin der Sprache, deren Leben mir wie ein Liebesroman vorkommt, starb mit 47 Jahren viel zu früh, so dass sich ihr Traum einer erfüllten Liebe nicht mehr verwirklichte:
„Mich verlangt, mehr als Sie begreifen können, nach diesem Traum, ich würde Ihnen viel, vielleicht sogar alle meine Ersparnisse dafür geben…. „
„Ich kaufe nur einen Traum“, sagte ich hastig, „ich will nur den Traum von Anna….“ – ich verbesserte mich rasch: „… nur den von dem Mädchen auf dem großen weißen Schiff.“
Nachdenklich setzte er [der Traum-Verkäufer] unleserliche Zahlen auf ein neben dem Block liegendes Blatt Papier, als mache es ihm Mühe, den Preis zu errechnen.
„Einen Monat“, murmelte er schließlich und durchkreuzte seine Berechnungen mit einem festen Strich.
Ich lachte ihm ins Gesicht.
Sich den Kragen zurechtrückend, erläuterte er: „Ich mache keinen Scherz. Sie haben vielleicht erwartet, mit Geld bezahlen zu können, aber Sie werden wissen, daß sie nirgends Träume für Geld bekommen. Sie müssen mit Zeit bezahlen. Träume kosten Zeit, manche sehr viel Zeit.“****
Eine Zeit,
die das Leben ihr nicht beschied!
Teresa HzW - 17. Okt, 08:58 - Rubrik Wiederworte