Zu[m] Zug
Auf dem Bahnsteig.
Beim Blick aus dem Fenster erschienen sie eher unauffällig.
Wie Menschen, die einen Sonntagsausflug bei Freunden oder Verwandten in der näheren oder weiteren Umgebung vorhatten.
Einige trugen kurzärmelige Polohemden oder bunte T-Shirts mit Werbeaufdrucken, Jeans oder dunkle Baumwollhosen.
An den Füßen Flip-Flops.
Das schien zunächst nichts Ungewöhnliches bei dieser brütenden Hitze von 34 Grad Celsius, die an diesem Tag herrschte.
Andere schulterten Rucksäcke:
wie Backpacker, die sich auf eine wochen- auch monatelange, weil weltumspannende Reise machten.
Eine Reise ins Ungewisse.
Trotz hochsommerlicher Hitze trugen etliche Jacken, über langärmeligen Pullovern.
Auch die mit den Rucksäcken: in Flip-Flops! Nur wenige in Sportschuhen.
„Dass die nicht schwitzen“, meinte der Reisende auf deutsch, an dem die Gruppe junger Schwarzer gerade vorbei gegangen war, bevor sie sich weiter vorne auf den freien Sitzplätzen niederließen.
„Die sind eben höhere Temperaturen gewöhnt“, antwortete die Frau im Sitz neben ihm, während sie mit einer Zeitung die drückend-heißen Temperaturen in diesem Zug ohne Klimaanlage versuchte, weg zu fächern und die jungen, andersfarbigen Menschen ansah.
„Das sind doch noch Kinder!“, stellte sie fest.
Er nickte.
„Allerhöchstens fünfzehn Jahre alt…“, schob sie nach, als sich der Zug in Bewegung setzte, und:
„...wir hätten doch in der ersten Klasse reservieren sollen!“
Er nickte zustimmend und runzelte die Stirn, ihn schien das ständige Husten der neu hinzu gestiegenen Fahrgäste zu stören.
„Das kann ja heiter werden, wenn das so bis München geht“, sagte sie.
„Hoffentlich haben die nicht offene Te.Be.“, meinte ein anderer Reisender, der ihnen direkt gegenüber saß, in alpenländischen Dialekt.
Alle drei warfen der ausländischen Reisegruppe einen sorgenvollen Blick zu.
Von denen hatte einer eine Klopapierrolle in der Hand, riss sich ständig neue Blätter von der Rolle und drückte sie in den Mund, sobald ihn eine neue Hustenattacke heimsuchte.
Andere telefonierten. Mit ihren Handys. Beinahe ununterbrochen. Immer wieder.
Zwischen ihren Hustenattacken.
Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen.
Die einen verließen den Waggon in die eine oder andere Zugrichtung, während wieder andere hinzukamen und sich dahin setzten, wo zuvor die anderen, die gegangen waren, saßen.
„Bressanone“ – las man auf den Schildern,
als der Zug das nächste Mal anhielt. Länger anhielt.
Bis er sich wieder in Bewegung setzte und
eine Stimme ertönte:
„Passaporti! Passports please!“
Drei Uniformierte traten in den Gang.
Das Paar schaute sich fragend an:
„Ausweiskontrolle?!“
„Des woa`s mi`m vereintn Europa!“ – meinte der Alpenländer und kruschtelte als erster seinen Reisepass heraus, während sich der männliche Teil des Paares erhob, umdrehte und seinen Brustbeutel unter dem weiten Hemd heraus pulte.
Sie musste erst ihr T-Shirt aus der Hose ziehen, um aus der Gürteltasche, die sie um ihre Hüften gebunden hatte, das Plastikkärtchen heraus zu fischen, das ihre Staatsangehörigkeit auswies.
Die jungen Leute gegenüber
hielten den Uniformierten ihre Fahrkarten hin.
„No tickets! Your passports, please!“ – antwortete einer der Beamten.
„Vos passports, sìl vous plaits!“, assistierte einer der beiden anderen Uniformierten.
Die jungen Schwarzen unterhielten sich aufgeregt in ihrer Muttersprache.
„Where do you come from?“ hakte der erste Beamte nach.
„Eritrea!“ antwortete einer.
„München“, sagte zeitgleich ein anderer.
Die Uniformierten sahen sich nicht an.
Sie sprachen kein Wort mehr, sondern gaben den Eritreern ihre Fahrkarten zurück und gingen weiter.
Dann hielt der Zug erneut an:
„Brennero. Brenner“
Weitere Passagiere stiegen zu.
Mit und ohne Rucksäcke. Verschwitzt. Staubig.
In Badelatschen oder mit Turnschuhen.
Mit Mobiltelefonen in der Hand oder aus der Hosentasche kramend.
Einige telefonierten, kaum dass sie Platz gefunden. Manche hockten sich einfach auf den Gangboden.
Ein junger Mann, mit pechschwarzem Haar, ockerbrauner Hautfarbe, für einen jungen Mann eher klein- als großwüchsig geraten, sprach den Alpenländer auf Englisch an, danach fragend, ob der Platz neben ihm und dem Paar vis-à-vis, noch frei sei.
„Hock di her!“ antwortete der, während der Paar-Mann nur nickte.
Nachdem der junge Mann seinen Rucksack verstaut, das Handy gezückt und sein Telefonat in der den Mitreisenden ungewohnten Sprache mit den vielen „ch“-Lauten beendet hatte, fragte er in Richtung des Alpenländers und des Paares auf Englisch, wohin sie fahren würden.
„Innschbrugg“, antwortete der Alpenländer.
„München“, die Paar-Frau.
Er sei aus Syrien, erzählte er. Ungefragt.
..und…
…wolle weiter nach Deutschland.
Nach Stuttgart.
Da sei es gut. Da sei man sicher.
Der Paar-Mann, der bisher nur genickt hatte, begann daraufhin in fließendem Englisch zu parlieren:
„Wir fahren nach Stuttgart.“
Wenn er wolle, könne er sich ihnen, und dabei nickte er der Frau zu, anschließen.
Allerdings nähmen sie in München nicht sofort den Anschlusszug, sondern erst den, der um 21Uhr51 fahren würde, da sie am Hauptbahnhof noch etwas zu erledigen hätten.
Der Fremde freute sich und meinte, er müsse sowieso in München erst noch die Fahrkarte nach Stuttgart kaufen, die habe er noch nicht.
Dann zückte er sein Handy und telefonierte leise.
Danach holte er seinen Rucksack von oben, drückte ihn in die Ecke seines Sitzes, räkelte sich und schien nach wenigen Sekunden in den Tiefschlaf gefallen zu sein.
Bei der nächsten Haltestation schreckte er hoch.
Als er sah, dass der Alpenländer, der am Fenster gesessen hatte, aussteigen wollte, war er wieder beruhigt.
Er setzte sich nun ans Fenster, rückte erneut seinen Rucksack in Schlafposition zurecht und nickte gleich wieder ein, während die Eritreer weiter husteten, telefonierten oder ihr Platz-Tausch-Spiel mit anderen aus ihrer Zwanzig-Köpfigen Gruppe fortsetzten.
Die nächste Stunde verlief ruhig und das Paar widmete sich der mitgebrachten Lektüre. Bis Rosenheim. Dort kam der Zug mit einem heftigen Ruck zum Stehen.
Auf dem Bahnsteig zahlreiche Polizisten.
Der Syrer schreckte mit dem Halt und dem Ruf der Polizisten hoch: „Passkontrolle! Passports please!“
Einige Eritreer sprangen von ihren Sitzen auf und rannten nach hinten in den Zug, der Syrer hinterher.
Indes…
die Polizisten näherten sich von beiden Seiten des Wagens.
Der Syrer kam zurück, kauerte sich auf den Sitz am Fenster und flehte die beiden Polizisten an, die das Paar sofort kontrollierten: Ob er nicht mit den beiden weiter fahren dürfe, er könne mit ihnen nach Stuttgart fahren.
Nein, meinte einer der beiden Polizisten in Englisch, er müsse jetzt erst einmal mitkommen.
Zwei Grenzpolizisten nahmen ihn in die Mitte zwischen sich, während das Paar ratlos und beinahe ebenso hilflos wie der Syrer – so schien es – zurückblieb und der Zug, um viele Menschen weniger - auch die Eritreer wurden mitgenommen- seine Fahrt nach München fortsetzte.
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Beim Blick aus dem Fenster erschienen sie eher unauffällig.
Wie Menschen, die einen Sonntagsausflug bei Freunden oder Verwandten in der näheren oder weiteren Umgebung vorhatten.
Einige trugen kurzärmelige Polohemden oder bunte T-Shirts mit Werbeaufdrucken, Jeans oder dunkle Baumwollhosen.
An den Füßen Flip-Flops.
Das schien zunächst nichts Ungewöhnliches bei dieser brütenden Hitze von 34 Grad Celsius, die an diesem Tag herrschte.
Andere schulterten Rucksäcke:
wie Backpacker, die sich auf eine wochen- auch monatelange, weil weltumspannende Reise machten.
Eine Reise ins Ungewisse.
Trotz hochsommerlicher Hitze trugen etliche Jacken, über langärmeligen Pullovern.
Auch die mit den Rucksäcken: in Flip-Flops! Nur wenige in Sportschuhen.
„Dass die nicht schwitzen“, meinte der Reisende auf deutsch, an dem die Gruppe junger Schwarzer gerade vorbei gegangen war, bevor sie sich weiter vorne auf den freien Sitzplätzen niederließen.
„Die sind eben höhere Temperaturen gewöhnt“, antwortete die Frau im Sitz neben ihm, während sie mit einer Zeitung die drückend-heißen Temperaturen in diesem Zug ohne Klimaanlage versuchte, weg zu fächern und die jungen, andersfarbigen Menschen ansah.
„Das sind doch noch Kinder!“, stellte sie fest.
Er nickte.
„Allerhöchstens fünfzehn Jahre alt…“, schob sie nach, als sich der Zug in Bewegung setzte, und:
„...wir hätten doch in der ersten Klasse reservieren sollen!“
Er nickte zustimmend und runzelte die Stirn, ihn schien das ständige Husten der neu hinzu gestiegenen Fahrgäste zu stören.
„Das kann ja heiter werden, wenn das so bis München geht“, sagte sie.
„Hoffentlich haben die nicht offene Te.Be.“, meinte ein anderer Reisender, der ihnen direkt gegenüber saß, in alpenländischen Dialekt.
Alle drei warfen der ausländischen Reisegruppe einen sorgenvollen Blick zu.
Von denen hatte einer eine Klopapierrolle in der Hand, riss sich ständig neue Blätter von der Rolle und drückte sie in den Mund, sobald ihn eine neue Hustenattacke heimsuchte.
Andere telefonierten. Mit ihren Handys. Beinahe ununterbrochen. Immer wieder.
Zwischen ihren Hustenattacken.
Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen.
Die einen verließen den Waggon in die eine oder andere Zugrichtung, während wieder andere hinzukamen und sich dahin setzten, wo zuvor die anderen, die gegangen waren, saßen.
„Bressanone“ – las man auf den Schildern,
als der Zug das nächste Mal anhielt. Länger anhielt.
Bis er sich wieder in Bewegung setzte und
eine Stimme ertönte:
„Passaporti! Passports please!“
Drei Uniformierte traten in den Gang.
Das Paar schaute sich fragend an:
„Ausweiskontrolle?!“
„Des woa`s mi`m vereintn Europa!“ – meinte der Alpenländer und kruschtelte als erster seinen Reisepass heraus, während sich der männliche Teil des Paares erhob, umdrehte und seinen Brustbeutel unter dem weiten Hemd heraus pulte.
Sie musste erst ihr T-Shirt aus der Hose ziehen, um aus der Gürteltasche, die sie um ihre Hüften gebunden hatte, das Plastikkärtchen heraus zu fischen, das ihre Staatsangehörigkeit auswies.
Die jungen Leute gegenüber
hielten den Uniformierten ihre Fahrkarten hin.
„No tickets! Your passports, please!“ – antwortete einer der Beamten.
„Vos passports, sìl vous plaits!“, assistierte einer der beiden anderen Uniformierten.
Die jungen Schwarzen unterhielten sich aufgeregt in ihrer Muttersprache.
„Where do you come from?“ hakte der erste Beamte nach.
„Eritrea!“ antwortete einer.
„München“, sagte zeitgleich ein anderer.
Die Uniformierten sahen sich nicht an.
Sie sprachen kein Wort mehr, sondern gaben den Eritreern ihre Fahrkarten zurück und gingen weiter.
Dann hielt der Zug erneut an:
„Brennero. Brenner“
Weitere Passagiere stiegen zu.
Mit und ohne Rucksäcke. Verschwitzt. Staubig.
In Badelatschen oder mit Turnschuhen.
Mit Mobiltelefonen in der Hand oder aus der Hosentasche kramend.
Einige telefonierten, kaum dass sie Platz gefunden. Manche hockten sich einfach auf den Gangboden.
Ein junger Mann, mit pechschwarzem Haar, ockerbrauner Hautfarbe, für einen jungen Mann eher klein- als großwüchsig geraten, sprach den Alpenländer auf Englisch an, danach fragend, ob der Platz neben ihm und dem Paar vis-à-vis, noch frei sei.
„Hock di her!“ antwortete der, während der Paar-Mann nur nickte.
Nachdem der junge Mann seinen Rucksack verstaut, das Handy gezückt und sein Telefonat in der den Mitreisenden ungewohnten Sprache mit den vielen „ch“-Lauten beendet hatte, fragte er in Richtung des Alpenländers und des Paares auf Englisch, wohin sie fahren würden.
„Innschbrugg“, antwortete der Alpenländer.
„München“, die Paar-Frau.
Er sei aus Syrien, erzählte er. Ungefragt.
..und…
…wolle weiter nach Deutschland.
Nach Stuttgart.
Da sei es gut. Da sei man sicher.
Der Paar-Mann, der bisher nur genickt hatte, begann daraufhin in fließendem Englisch zu parlieren:
„Wir fahren nach Stuttgart.“
Wenn er wolle, könne er sich ihnen, und dabei nickte er der Frau zu, anschließen.
Allerdings nähmen sie in München nicht sofort den Anschlusszug, sondern erst den, der um 21Uhr51 fahren würde, da sie am Hauptbahnhof noch etwas zu erledigen hätten.
Der Fremde freute sich und meinte, er müsse sowieso in München erst noch die Fahrkarte nach Stuttgart kaufen, die habe er noch nicht.
Dann zückte er sein Handy und telefonierte leise.
Danach holte er seinen Rucksack von oben, drückte ihn in die Ecke seines Sitzes, räkelte sich und schien nach wenigen Sekunden in den Tiefschlaf gefallen zu sein.
Bei der nächsten Haltestation schreckte er hoch.
Als er sah, dass der Alpenländer, der am Fenster gesessen hatte, aussteigen wollte, war er wieder beruhigt.
Er setzte sich nun ans Fenster, rückte erneut seinen Rucksack in Schlafposition zurecht und nickte gleich wieder ein, während die Eritreer weiter husteten, telefonierten oder ihr Platz-Tausch-Spiel mit anderen aus ihrer Zwanzig-Köpfigen Gruppe fortsetzten.
Die nächste Stunde verlief ruhig und das Paar widmete sich der mitgebrachten Lektüre. Bis Rosenheim. Dort kam der Zug mit einem heftigen Ruck zum Stehen.
Auf dem Bahnsteig zahlreiche Polizisten.
Der Syrer schreckte mit dem Halt und dem Ruf der Polizisten hoch: „Passkontrolle! Passports please!“
Einige Eritreer sprangen von ihren Sitzen auf und rannten nach hinten in den Zug, der Syrer hinterher.
Indes…
die Polizisten näherten sich von beiden Seiten des Wagens.
Der Syrer kam zurück, kauerte sich auf den Sitz am Fenster und flehte die beiden Polizisten an, die das Paar sofort kontrollierten: Ob er nicht mit den beiden weiter fahren dürfe, er könne mit ihnen nach Stuttgart fahren.
Nein, meinte einer der beiden Polizisten in Englisch, er müsse jetzt erst einmal mitkommen.
Zwei Grenzpolizisten nahmen ihn in die Mitte zwischen sich, während das Paar ratlos und beinahe ebenso hilflos wie der Syrer – so schien es – zurückblieb und der Zug, um viele Menschen weniger - auch die Eritreer wurden mitgenommen- seine Fahrt nach München fortsetzte.
Teresa HzW - 30. Aug, 21:08 - Rubrik Andern[w]Orts